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REZENSION: Julia Thiesbonenkamp-Maag, "Wie eine Quelle in der Wüste". Fürsorge und Selbstsorge bei der philippinisch-charismatischen Gruppe der El Shaddai in Frankfurt. Berlin: Reimer, 2014.

von Kerstin Radde-Antweiler

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die Publikation der Dissertation von Julia Thiesbonenkamp-Maag am ethnologischen Institut der Universität Heidelberg. Sie widmet sich dabei der Frage, wie die Konzepte „Fürsorge“ und Selbstsorge“ als ethnologische Kategorien fruchtbar gemacht werden können. Darüber hinaus fragt sie nach dem Zusammenhang von Fürsorge und Religion, ein bislang eher vernachlässigtes Forschungsfeld. Die Autorin fokussiert in ihren Untersuchungen die phillipinisch-charismatische Gemeinde El-Shaddai in Frankfurt am Main, die sie zwei Jahre begleitet hat. Neben der teilnehmenden Beobachtung hat sie semi-strukturierte Interviews mit ausgewählten Akteuren des Feldes geführt. 

Die Arbeit ist in fünf Teile gegliedert. Der erste Teil widmet sich religionsethnologischen Analysen von Migration. Hierbei gibt die Autorin einen kurzen Abriss über rezenten Theorien innerhalb des ethnologischen Forschungsfeldes, bevor sie sich der konkreten philippinischen Migrationsgeschichte in Deutschland sowie im Besonderen der Situation in Frankfurt a.M. zuwendet. Zum Schluss erläutert und diskutiert sie die Wechselwirkungen und Abhängigkeitsverhältnisse mit dem Heimatland Philippinen, wie beispielsweise die Besteuerung der Migranten. An dieser Stelle ist v.a. auf die höchst interessante Konstruktion der Narrative ‚Prüfung‘ und ‚Bewährung‘ innerhalb des Feldes hinzuweisen, welche auf der „philippinischen Variante der Leidensgeschichte Jesu“ (S. 60) sowie der Narrationen philippinischer Nationalhelden basiert.

Im zweiten Teil der Arbeit stellt die Autorin die charismatische Bewegung El Shaddai dar. Sie gibt dafür einen kurzen Abriss der Christianisierung der Philippinen im Allgemeinen sowie der charismatischen Bewegung auf den Philippinen im Besondern. Darauf aufbauend skizziert sie die kurze Geschichte der Gruppierung in Frankfurt a.M. inklusive ihrer konkreten inhaltlichen Ausgestaltung sowie ihrer Rückbindung an die Philippinen. Der dritte Teil widmet sich der Entwicklung der ethnologischen Konzepten Fürsorge und Selbstsorge, die durch „das Prinzip der Sorge“ (S. 121) verbunden werden. Als theoretischer Referenzrahmen dienen der Autorin zum einen verschiedene agency-Konzepte und die damit zusammenhängenden Personenbegriffe, zum anderen aber auch Ansätze aus der Ethics of Care. Daraus entwickelt die Autorin die Konzepte der Selbstsorge – verstanden als eine „bestimmte Art der Agency, die sich auf die Veränderung des Selbst ausrichtet“ (S. 161) – und der Fürsorge, d.h. eine Handlung einer konkreten Person oder auch Gruppe, „die sich auf andere Personen oder Personengruppen richtet“ (S. 162). Im letzten Teil wendet sie in ihrer Untersuchung die beiden Konzepte auf die Frankfurter El Shaddai Gruppe an und kann an konkreten Beispielen aus dem Gottesdienst, des Gebets, Heilungen, Visionen, usw., veranschaulichen, dass eine Untersuchung auf Basis der beiden Konzepte auch die sinnliche und körperliche Erfahrung mit berücksichtigen muss, wie sie beispielsweise in Ritualen erfahrbar wird. Darüber hinaus wird durch das gewählte Sample deutlich, dass Untersuchungen in diesem Bereich – im Gegensatz zu den meisten bisherigen Fürsorge-Studien – auch auf Personen im mittleren Lebensalter ausgedehnt werden müssen. 

Thiesbonenkamp-Maag bietet mit ihrer Studie einen spannenden und detailreichen Einblick in die Religiosität philippinischer Migrant_innen in Deutschland, die bislang kaum Gegenstand ethnologischer Studien war. Leider wird das Lesevergnügen an manchen Stellen gerade durch den Detailreichtum etwas getrübt. So finden sich an manchen Stellen Interviewpassagen, die an sich spannend sind, jedoch für den Leser manchmal nur schwer einen Bezug zum Haupttext erkennen lassen. Dies wird besonders deutlich an der Struktur des ersten Kapitels, welches als Kreuzweg konzipiert ist und vor jeder Station Feldtagebuchausträge, Interviewpassagen und/oder Sekundärliteratur beinhaltet. Diese sind an sich äußerst spannend, werden jedoch nur rudimentär im Text selbst aufgegriffen oder in die Argumentation integriert. Eine Analyse des Materials hätte hier auch die abschließende und ritualtheoretisch interessante These stärken können, dass die Migrant_innen im Kreuzweg ihrer liminalen Situation bewusst werden und die Erlösung, d.h. in diesem Fall die Rückkehr in ihr Heimatland, als Ziel der imitatio Christi verstanden werden muss. Hauptfokus und damit auch Mehrwert der Arbeit stellt jedoch zweifelsohne die Konzeption und Entwicklung der ethnologischen Konzepte Selbst- und Fürsorge dar; hier leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag, der zukünftig hoffentlich in der Care-Debatte aufgegriffen wird und einen Brückenschlag zwischen Religion und Fürsorge bilden kann.

ISBN: 978-3-496-01500-0 (Hardcover)
285 Seiten
Preis: €49,-
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Zuletzt verändert: 12.10.2015 19:29