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REZENSION: Giovanni Maltese, Pentekostalismus, Politik und Gesellschaft in den Philippinen. (Religion in der Gesellschaft 42) Baden-Baden: Ergon, 2017

von Oleg Dik

Der Titel „Pentekostalismus, Politik und Gesellschaft in den Philippinen“ kündigt das ehrgeizige Ziel von Giovanni Maltese an. Mit dem vorliegenden Werk, welches zuerst als Dissertation eingereicht wurde und bei Ergon 2017 in der religions-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Reihe „Religion und Gesellschaft“ erschienen ist, möchte Maltese die Lücken mit Blick auf die Pentekostalismusforschung zu den Philippinen schließen. Ziel seines Unterfangens ist es, neue Erkenntnisse in Bezug auf die heterogenen Wechselwirkungen zwischen Religion und Politik gewinnen und die Verflechtungen zwischen lokalen und globalen Akteuren und Netzwerken beschreiben. Maltese fragt hauptsächlich nach den Bedingungen, die das Verhältnis der Pfingstbewegung zu Politik und Gesellschaft geprägt haben. Dabei geht er auch auf seine eigene Position im sozialen Feld ein, da die Aussagen der Pfingstler, insbesondere in Bezug auf politische Themen, sehr stark von ihrer Einordnung des jeweiligen Gegenübers abhängen. In der Darlegung seines „Zugangs zum Forschungsfeld“ erklärt Maltese, dass er „pentekostalen Schlüsselpersonen und Kirchen“ auf Grund zuvor schon bestehender Kontakte „als befreundeter Theologe vorgestellt und tendenziell als ‚Insider‘ wahrgenommen“ wurde (S. 45f.). Dadurch gelingt es ihm, Einblicke in innerpfingstliche Diskurse zu erlangen, die sonst nur schwer zugänglich sind.

In der Einleitung gibt Maltese eine Rede wieder, in der ein Pfingstpastor für die Präsidentschaftskandidatur des pfingstlerischen Bischofs Villanueva wirbt und dabei auch die Unterstützung von jihadistischen und kommunistischen sowie moderaten linksliberalen Gruppen in der Predigt als göttliches Wirken interpretiert. Diese Vignette verdeutlicht die Komplexität des Themas und die Notwendigkeit den aktuellen Forschungsstand zum philippinischen Pentekostalismus (sowohl in seiner katholisch-charismatischen als auch evangelikalen Prägung kritisch weiterzuführen). Dieser hat die Pfingstbewegung bislang als religiösen Populismus mit inhärenter Tendenz zu sozialpolitischer Gleichgültigkeit und religiöser Intoleranz bezeichnet und ihn so als demokratiegefährdend eingeordnet.

Den Spagat zwischen Kontextualisierung der pentekostalen Narrative, Handlungen und Begriffe einerseits und der Beleuchtung der nationalen und globalen Makroebene schafft Maltese, indem er disziplinäre Grenzen überschreitet und sich ethnographischer Methodik und einer an M. Foucault orientierten Diskursanalyse bedient, wobei er die poststrukturalistischen politischen Theorien von E. Laclau und J. Butler für die Religionsforschung fruchtbar macht. Durch den primär kulturanthropologischen Blickwinkel wird die religionswissenschaftliche Erforschung der pentekostalen Bewegung dadurch bereichert, dass auch dezidiert die Einbettung der Theologie in den sozialen Kontext analysiert wird. Gleichzeitig wird die bislang in der Forschung dominierende soziologisch-politikwissenschaftliche Perspektive durch die minutiöse historische Untersuchung der Bedingungen für die Plausibilität sämtlicher relevanter theologischer Schlüsselkonzepte und Narrative zu einer differenzierteren Wahrnehmung herausgefordert. Die oftmals dualistischen Kategorien der Einordnung werden dabei kritisch hinterfragt, d.h. mit Blick auf die Interessen, welche die Forschung bedient, diskutiert. Maltese zeichnet ein plurales und heterogenes Bild der pentekostalen Bewegung in den Philippinen und bestätigt damit den Konsens der Pentekostalismusforschung. Hervorzuheben ist allerdings, dass er dabei nicht bei der bloßen Feststellung von Pluralität stehenbleibt, sondern konsequent der Frage nachgeht, weshalb es trotzdem möglich und sinnvoll ist von einer zusammenhängenden Bewegung zu sprechen (statt sich in den Plural – Pentekostalismen – zu flüchten). Dies gelingt ihm durch die Fülle an Empirie sowie durch die konsequente Historisierung, die danach fragt, wann „pentecostal“ wie, wo, von wem und mit welchen Interessen (bzw. vor dem Hintergrund welcher Frontstellung) verwendet wurde und weiterhin verendet wird (S. 613).

Die Arbeit gliedert sich in drei große Abschnitte, welche wiederum schon in sich einzelne abgeschlossene Werke sein könnten. Zuerst nähert sich Maltese dem Thema aus dem weiten Blickwinkel und beschreibt die nationalen Debatten von pentekostalen Schlüsselfiguren innerhalb des philippinischen Kontexts. Insbesondere geht er dabei auf die Präsidentschafts- und Senatskandidaturen von Eddie Villanueva, einem prominenten pentekostalen Pastor, ein (S. 59-235). Im zweiten Teil zeigt Maltese die Wechselwirkung zwischen den nationalen Diskursen und den pentekostalen Gruppen in Dumaguete, einer Mittelschichtsstadt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den kommunalpolitischen Hegemoniekämpfen, vor deren Hintergrund er die heterogenen, aber dennoch zusammenhängenden pentekostalen Positionierungen liest (S. 235-465). Im dritten Teil wird die Sicht wieder geweitet und das Verhältnis zwischen Pentekostalismus und Gesellschaft am konkreten Politikum der Gesetzesnovelle zur Reproduktionsgesundheit aufgezeigt. In diesem Zusammenhang bietet Maltese auch eine kritische Genealogie des aktuellen Reproduktionsgesundheitsdiskurses der Philippinen (S. 465-601).

Maltese zeigt auf brillante Weise die Vorzüge einer interdisziplinär arbeitenden Religionswissenschaft auf. Er schafft es, auf komplexe Fragen neue Sichtweisen zu entwickeln und flexible Methoden anzuwenden. Dennoch hätte sich der Kulturanthropologe bzw. Ethnologe gewünscht, dass etwas stärker auf Ansätze eingegangen worden wäre, die auch Embodiment und Materialität reflektieren. Wer also nach klaren Ursachenfaktoren für pentekostale Politik sucht, wird bei Maltese enttäuscht bleiben. Die durch intensive Feldforschung erhobenen Artikulationen, zu denen Maltese Worte und Taten gleichermaßen zählt und die die Grundlage der rezensierten Arbeit darstellen, werden primär aus Antagonismen und Hegemonialkämpfen heraus interpretiert (S. 407, 598), also aus dem Streben nach Einflusserweiterung der Pfingstkirchen heraus sowie deren Streben nach einer höheren Sichtbarkeit im öffentlichen Raum: „Es war die spezifische lokalpolitische Konstellation, die mit dem konkreten innerpfingstlichen Wettbewerb, die eigene Gemeinde gesellschaftlich relevant erscheinen zu lassen, verflochten war und die ihrerseits dem Geflecht aus lokalen, nationalen und globalen Aushandlungsprozessen geschuldet war, in denen es um die Definitionshoheit über die Identität der Nation und die Lösung ihrer sozialen Probleme ging“ (S. 587). An anderer Stelle erläutert er: „Aufbauend auf diesen Gemeinsamkeiten setzte aber jede Gemeindeleitung eigene Akzente, die den Zweck verfolgten, die eigene Kirche und den eigenen Dienst als gesellschaftlich relevant zu präsentieren und die eigene Vision als beste Lösung für die konkreten Probleme der Bevölkerung zu bewerben. Letzteres war mit den mehrfachen lokalen Konkurrenzkonstellationen verflochten, in denen sich die pentekostalen Lokalkirchen wiederfanden“ (598, s.a. 298). Diese sind Maltese zufolge in Verbindung mit dem Bildungshintergrund, den ökonomischen Verhältnissen und der sozialen Stellung zu betrachten. Damit wird Maltese seinem Programm gerecht, die „Bedingungen der Möglichkeiten“ (614) für die Plausibilität der untersuchten Akteure und Artikulationen, zu rekonstruieren und auszuwerten.

Im letzten Satz seines fulminanten Werkes verweist Maltese auf die „nicht interessenlosen blinden Flecken“ (S. 615) der Forschung. Sie befindet sich also in demselben lokalen und globalen Feld der Machtverhältnisse und kann sich dem Normativen nicht entziehen. In einer schrumpfenden Welt finden sich pentekostale Prediger in Philippinen und Froschende im gleichen Raum widerstreitender Erklärungen der sozialen Wirklichkeit wieder. Dies gilt freilich auch für die rezensierte Studie; dies betont Maltese selbst an mehreren Stellen, wodurch er seine Arbeit bewusst zur Kritik stellt.

Zusammenfassend handelt es sich bei dem vorliegenden Buch um eine ausgezeichnete Studie, die eine beachtenswerte theoretische und methodische Vermittlungsleistung vollbringt und dadurch sowohl der Pentekostalismus- als auch der Religionsforschung im Allgemeinen neue Anstöße gibt. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn Maltese den oben aufgeworfenen kritischen Fragen in seiner zukünftigen Forschung als neuberufener Juniorprofessor an der Universität Hamburg nachgehen könnte. In diesem Sinne dürfen wir auf weitere Veröffentlichungen gespannt sein.

ISBN 978-3-95650-290-3
736 Seiten, 32 Abbildungen (gebunden)
72,00 € 
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Zuletzt verändert: 18.10.2018 21:21