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REZENSION: David Courey, What Has Wittenberg to Do with Azusa?: Luther's Theology of the Cross and Pentecostal Triumphalism. London: Bloomsbury T&T Clark 2015.

von Paul Schmidgall

David Courey verfasste diese Dissertation unter der Betreuung Steven Studebakers an der McMaster Universität in Hamilton, Kanada. Die Arbeit untersucht den amerikanischen Triumphalismus, der die Entwicklung der (amerikanischen) Pfingstbewegung stark beeinflusst hat. Courey empfiehlt als ausgleichendes Element für den (amerikanischen) pfingstlichen Triumphalismus die Kreuzestheologie von Martin Luther. Gleichzeitig weckt er auch Hoffnungen, dass die theologia crucis Luthers die weitgehende Lakune einer Leidenstheologie im Pentekostalismus berichtigen könnte. Die Dissertation wurde von T & T Clark im Jahre 2015 rechtzeitig zum bevorstehenden 500-jährigen Lutherjubiläum veröffentlicht. Sie dient in Anbetracht dieses Jubiläums als ein wichtiger Beitrag für den Dialog zwischen Lutheranern und Pfingstlern.

Die Arbeit besteht aus drei Teilen: der erste Teil ist primär historisch, der zweite stellt eine historisch-theologische Untersuchung dar und der dritte Teil ist ein Bemühen Luthers Kreuzestheologie in den Dialog mit der pentekostalen Theologie und Spiritualität zu bringen. Der erste Teil untersucht das Problem des Triumphalismus im Pentekostalismus. Dabei wird der pentekostale Triumphalismus als spezifische Variante einer allgemeinen Krankheit des Evangelikalismus dargestellt. Eine Untersuchung der Entstehung der Pfingstbewegung Pentekostalismus im weiteren Kontext des 19. Jahrhunderts zeigt nämlich einen größeren Grad von Kontinuität mit dem Evangelikalismus auf, als dies üblicherweise eingeräumt wurde. Die Heiligungsbewegung, die Heilungsbewegung, der Prämillenarismus und die Erweckungsbewegung haben nicht nur die Entwicklung des Pentekostalismus beeinflusst, sondern auch die allgemeine Kontroverse zwischen Fundamentalismus und Moderne (361). Courey spricht diesbezüglich von zwei wichtigen tektonischen Platten. Eine dieser Platten ist der Perfektionismus, der eine Form von vorausblickendem Triumphalismus darstellt, der sich nach dem eschaton ausstreckt aber gleichzeitig seine Wirkkräfte schon im hier und jetzt zugänglich machen möchte. Die zweite tektonische Platte ist eine Theologie des Rückblicks (restorationism), die einen retrospektiven Triumphalismus darstellt, indem sie eine romantische Vorstellung einer makellosen Urgemeinde propagiert und für die Wiederbelebung der Kraftwirkungen der Urgemeinde plädiert. Diese beiden Dynamiken setzen dabei aber leider sehr oft Erwartungen frei, die in der gelebten christlichen Erfahrung keine Entsprechung finden. Kapitel 2 betrachtet dann die Einzigartigkeit des pentekostalen Triumphalismus. Dabei sind die ersten zehn Jahre von größter Bedeutung, da aus der Sicht des Verfassers niemand besser das Herz der Pfingstbewegung verkörpert als die Pioniere der Bewegung. Nach den enthusiastischen Anfängen, die mit einem starken Empfinden der Unmittelbarkeit der göttlichen Kräfte, das im Spätregen-Paradigma geboren worden war, ist die frühe pentekostale Leidenschaft allerdings etwas verloren gegangen. Der Pentekostalismus der Folgezeit, war ein gezähmter und angepasster Pentekostalismus, welcher mehr Raum für institutionelle Organisation eröffnete. Diese Anpassung und Veränderung wurde von Margaret Poloma in ihrer Studie zur Beziehung zwischen Charisma und Institution in den Assemblies of God seit 1920 beschrieben. Der Dialog zwischen Charisma und Institution resultierte in einer akkomodierteren Erwartungshaltung, in der das Charisma an die (institutionelle) Realitätserfahrung angeglichen wurde. Der Rückgang an Erfahrungsunmittelbarkeit korrelierte mit einem größeres Wachstum der Bewegung. Eine Restspannung zwischen den zum Teil immer noch sehr großen Erwartungen und der erfahrenen Wirklichkeit blieb.

Der zweite Teil stellt Martin Luther als Gesprächspartner vor und legt seine Kreuzestheologie als Paradigma dar, das in der Lage sei, pentekostale Theologie neu zu befruchten. Luther scheint auf den ersten Blick ein untypischer Gesprächspartner für den Pentekostalismus des 21. Jahrhunderts zu sein. Der Verfasser argumentiert jedoch, dass es im Pentekostalismus theologische Wurzeln gibt, die über den Methodismus und Pietismus hinaus zurückreichen bis zur Reformation und Luther. Meistens wird diese Verbindungslinie zwar zu den Enthusiasten und Anabaptisten und nicht zu Luther gezogen. Es gibt aber auch Verbindungslinien zwischen Luther und den Pfingstlern: Das Übernatürliche, die Priesterschaft aller Gläubigen, Eschatologie und die Betonung der geistlichen Erfahrung. Häufig betonen Pfingstler nur ihre Verbindungslinien zu John Wesley. Doch die Distanz zwischen Luther und John Wesley ist nicht sehr groß, insbesondere in der Frage der Erfahrung des Göttlichen. Wenn Wesley sich dabei auf das Quadrilateral aus Erfahrung, Verstand, Tradition und Schrift bezieht, so war Luther ein Verfechter der Vorrangstellung des Wortes und der Sakramente als extra nos Mittel zur Verifizierung der in nobis Erfahrungen. Diese Einsichten leiten dann sachgemäß zu einer Betrachtung von Luthers Kreuzestheologie über. Luthers Verständnis vom Kreuz dient dabei als eine Kritik der Erfahrung, und zwar auf persönlicher wie auf institutioneller Ebene. Das Kreuz stellt alle Hybris der menschlichen Bestrebungen in Frage, die nicht mit dem Kreuz vereinbar ist. Die individuellen und institutionellen Ansprüche werden dabei durch die Kreuzeskritik zunichte gemacht und die Aporie der bloßen menschlichen Erfahrung wird offen gelegt. Oft hören Überlegungen zur theologia crucis aber leider bei der Betonung der katabasis des Kreuzes auf und lassen den Aspekt der anabasis außer Acht. Für Luther ist allerdings auch die Auferstehungskraft des Evangeliums von größter Bedeutung. Courey vertieft die Diskussion um die Wichtigkeit der Dialektik zwischen katabasis und anabasis für Lutheraner und Pfingstler, indem er auf die Jürgen Moltmanns "Theologie der Hoffnung" verweist.

Der dritte und letzte Teil bearbeitet schließlich die Frage, wie diese Kreuzestheologie für den Pentekostalismus fruchtbar gemacht werden kann. So findet sich im fünften Kapitel eine Anwendung der Kreuzestheologie auf den Ebenen der pfingstlichen Spiritualität aber auch der pfingstlichen Theologie. Courey entwickelt hier eine theologia crucis, die auf die pentekostale Theologie zugeschnitten ist: eine Kreuzestheologie, die die katabasis und anabasis als pneumatologia crucis und eschatologia crucis definiert und mit der Begrifflichkeit der Geistestaufe (31) belegt. Das 6. Kapitel wendet dann dieses Paradigma auf die geistliche Erfahrung, die Perfektionslehre und das Phänomen der Wunder und des Übernatürlichen an. Durch eine derartige theologia crucis kann pfingstliche Theologie auf der einen Seite eine grundsätzliche optimistische Erwartung in der anabasis beibehalten, findet aber in der katabasis eine Dimension, die mit Blick auf die empirische Realität ausgleichend wirkt. In der Betonung katabasis erfährt der (amerikanische) pentekostale Triumphalismus somit eine wichtige Korrektur. Courey plädiert dafür die Dinge „so darzustellen, wie sie wirklich sind“, damit der Pentekostalismus von den Erwartungskrisen, die er immer wieder hervorruft, befreit werden kann. „Die Dinge so darzustellen, wie sie wirklich sind“ ist gleichzeitig aber auch der Schlüssel, der Erfahrung der Transzendenz im täglichen Leben einen adäquaten Raum zu schaffen, der dem Grundanliegen der pentekostalen Sensibilität für das Übernatürliche gerecht wird.

Die These Coureys, die theologia crucis Luthers als eine Korrekturmöglichkeit für den (amerikanischen) pentekostalen Triumphalismus zu sehen, ist für die gesamte Pfingsttheologie wegweisend. Zugleich ruft sie nach historischen und systematisch-theologischen Arbeiten, die sich ganz konkret mit der Rezeption Luthers durch pfingstliche Schlüsselfiguren und deren Theologien befassen. Diesbezüglich sei darauf verwiesen, dass Teile des deutschen Pentekostalismus viel stärker von der lutherischen Theologie beeinflusst wurden, als dies bei den Kirchen der Fall ist, die den Horizont von Coureys Studie darstellen. Der oftmals als „Vater des deutschen Pentekostalismus“ bezeichnete Jonathan Anton Alexander Benjamin Paul (1853-1931) war ein lutherischer Pastor, für den dies besonders gilt. Er ist aber nicht der einzige: Neben Paul gab es mehrere landeskirchliche und pietistische Pastoren in der Mülheimer Bewegung und bei den freien Pfingstgemeinden, die offenkundig lutherisch-theologische Akzente setzten. Mit Blick auf den Einfluss des sola scriptura-Leitsatzes ließe sich anführen, dass die Mülheimer Bewegung ihre eigene Bibelübersetzung (Mülheimer NT) unter der Leitung von Jonathan Paul hervorbrachte. Ansätze des lutherischen Verständnisses von der Glaubensgerechtigkeit sind in dem Prinzip des „Christus Wird“ bei Paul (und dessen imputatio-Verständnisses) erkennbar. Die Zentralität, die das simul iustus et peccator in Pauls Lehre einnahm, lässt sich hingegen an einem Aphorismus Pauls illustrieren. Als dieser auf die Spannung zwischen seiner Lehre der Vollkommenheit und der menschlichen Natur angesprochen wurde, soll er geantwortet haben: „Ich bin ein V/vollkommener [Pause] Lump!“. Ein weiterer bedeutsamer Locus, in dem Pauls Theologie von jener abweicht, auf die Coureys Monographie implizit Bezug nimmt, ist die Geistestaufe. Denn die Zungenrede betrachtete Paul im Gegensatz zu vielen anderen Pfingstlern nie als erstes Zeichen der Geistestaufe (anfängliches Zeichen, wie es in der "klassisch pfingstlichen" Forumulierung heißt). Zwar spielte die Zungenrede in Pauls Theologie und Frömmigkeit keine unwichtige Rolle (bisweilen schrieb er sogar seine Zungengebete nieder, versah sie mit Melodien und verfasste daraus Lieder). Dennoch hatte er einen weiteren Begriff von Geisttaufe und konnte Aspekte des lutherischen Bekehrungsverständnisses in seine Pneumatologie integrieren, die stark Coureys Versuch ähneln, die katabasis und anabasis der theologia crucis mit den Begrifflichkeiten der „Geistestaufe“ zu belegen. Mit Blick auf die Charismenlehre, die in der Pfingsttheologie in engem Bezug mit der Geisttaufe traktiert wird, sei vor allem auf das konsequente Plädoyer Pauls verwiesen, die Gabe der prophetischen Rede stets mit dem Plädoyer für die Suche nach der Gabe der Geistesunterscheidung zu koppeln. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass es gerade in der Zeit des Nationalsozialismus an Unterscheidungsvermögen (Diakrisis) innerhalb der Kirchen gemangelt hat. Der Quietismus, der in dieser Zeit auch von vielen Pfingstlern um den Mülheimer Kreis zu Tage gelegt wurde, wurde nicht selten in Anlehnung an die lutherische Zwei-Reiche-Lehre begründet. Abschließend sei noch auf die Tauflehre des Mülheimer Kreises verwiesen. Im Gegensatz zu den meisten amerikanischen Pfingstkirchen wurde hier nämlich auch weiterhin die Säuglingstaufe praktiziert. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Mülheimer Bewegung die Landeskirche eigentlich nie verlassen wollte - jedenfalls nicht unter der Leitung Pauls.

Dass die Wirkungsgeschichte der Theologie Luthers (und lutherischer Theologie im Allgemeinen) im deutschen Pentekostalismus eine ganz andere ist, als es bei jenen Kirchen und Theologen der Fall ist, die Coureys Primärkontext darstellen, ändert freilich nichts an dem wichtigen Beitrag, den Coureys Studie für die allgemeine pfingstliche Theologie darstellt. Mit Blick auf das Grundanliegen der Arbeit ist zu wünschen, dass sich pfingstliche Theologie auch hierzulande auf neue und kritische Weise von der Kreuzestheologie des wittenbergischen Reformators inspirieren lässt. Dies gilt insbesondere angesichts des gemeinsam gefeierten Jubiläumsjahr Luthers. Zusammen mit weiteren historischen Arbeiten zum frühen Pentekostalismus in Deutschland, zur Rezeption lutherischer Theologie und zum Verhältnis konkreter Pfingstkirchen zu den Landeskirchen würde dies nicht nur der Pfingsttheologie zu Gute kommen. Es würde auch zu einer (noch) besseren Zusammenarbeit zwischen Pfingst- und Landeskirchen beitragen. 

ISBN: 978-0-56767-189-9 (Paperback)
304 Seiten
Preis:  £17.39 
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Zuletzt verändert: 22.02.2017 15:39